Regisseur und Protagonistin – Wer schreibt wem das Narrativ?

Zu meiner aktuellen Folge auf YouTube »Machtverhältnisse 2 – Regisseur und Protagonistin«

Ich mache mich in dieser aktuellen Folge ein bisschen über mich selbst lustig und stelle mich einem der unangenehmsten Gefühle, die es gibt: der Scham.

Und das tue ich deswegen, weil ich in letzter Zeit öfter mal den Eindruck hatte, dass so mancher Mensch glaubt, bei mir »liefe immer alles bestens«. Das ist (natürlich) NICHT so.

Ich mache ganz im Gegenteil seit vielen Jahren immer wieder die Erfahrung, dass einer Sache, die GELINGT, IMMER (!!) eine holprige und teilweise schmerzhafte Zweifel- und Suchphase voraus geht.

Dieses Phänomen nennt Brene Brown in ihrem Buch »Rising strong«: »You can’t skip day two.«

Was sie beschreibt sind die typischen drei großen Phasen eines Prozesses:
»Am ersten Tag« ist alles toll und neu und aufregend und wir stürzen uns optimistisch in die Arbeit.

»Am zweiten Tag« sehen wir, dass alles nicht so ist, wie wir dachten, wir erleben Niederlagen, sind enttäuscht, zweifeln, wissen nicht, wie es weiter geht und ob das Ganze überhaupt Sinn macht.
Entweder wir geben dann auf oder wir schlagen uns weiter durch und erleben den dritten Tag: das Gelingen.

»Am dritten Tag« lösen sich plötzlich die zuvor scheinbar unüberwindbaren Probleme und zwar meistens in genau dem Maße, in dem wir uns am »zweiten Tag« den unangenehmen Gefühlen gestellt und ihnen NICHT ausgewichen sind.

Denn für das Gelingen des dritten Tages ist das Durchhalten des zweiten Tages die Bedingung.

Deshalb schreibt Brene Brown: »You can’t skip day two.«

Mit diesem Satz kann ich sehr viel anfangen, denn ich erlebe es in allen Proben-Prozessen so – und in allen anderen Prozessen ebenfalls. Wenn ich wieder irgendwo sitze und denke »Es klappt alles nicht und es fühlt sich richtig scheiße an«, dann sage ich mir inzwischen zum Trost: You can’t skip day two. Heul nicht rum und mach einfach weiter. Denn irgendwann kommt »day three«.

Es liegt in der Natur der Sache, dass einen die Leute meistens »am dritten Tag« sehen und nicht »am zweiten Tag« – denn da ist man fast immer allein.

Meine Erfahrung mit Rosa von Praunheim halte ich für eine besonders schmerzhafte Form der »day two experience«.

Und zwar deswegen, weil mir Rosas gesamte Art zu arbeiten und zu denken scheinbar so fremd ist wie Astro-Physik.

Ich bin mir sicher, dass es über den gesamten Zeitraum der Arbeit am Film zwischen Rosa und mir eine  gegenseitige Sympathie und gegenseitigen Respekt gegeben hat. Dieses Gefühl und die positive Erfahrung, auch Meinungsverschiedenheiten konstruktiv mit ihm auszutragen, waren für mich Grundlage des Vertrauens und Basis der Zusammenarbeit. Umso erschreckender war für mich der Bruch am Ende, da er sich mit meiner vorherigen Wahrnehmung nicht deckt und in mir rückwirkend Zweifel verursacht hat, ob es diese Basis, also die persönliche Ebene des Vertrauens, überhaupt je gegeben hat. Daher die Hartnäckigkeit meiner Bemühungen um Kommunikation, mit denen ich – wie im Video beschrieben – so verblüffend gescheitert bin.

Mit meinem Bestreben, den großen Statusabstand (Regisseur – Protagonistin), der sich zum Schluss ganz plötzlich wieder auftat, zu überwinden und eine menschliche Beziehung auf Augenhöhe zu etablieren, bin ich brachial gescheitert.

Die Kämpfe um das Narrativ allerdings haben sich trotzdem gelohnt. Das heißt: Selbst in hierarchischen Arbeitsverhältnissen, wie sie hier wahrscheinlich eben doch existent waren, gibt es einen Spielraum der Selbstbestimmung, den wir nicht kampflos aufgeben sollten.

Was ich rückblickend aus dieser »Day-two-Erfahrung« mitnehme ist, dass es in hierarchischen Arbeitsverhältnissen sinnvoller ist, große Distanz zu wahren, also keine menschliche Begegnung anzustreben, bzw. solche Arbeitsverhältnisse ganz zu meiden, denn die Gefahr von unfreiwilligem Statusverlust ist (zu) groß.

Ich bewahre mir die Sympathie zu Rosa von Praunheim trotz der Schluss-Irritation, denn sie hat für mich diese Arbeit getragen. Außerdem:

Mich hat diese Erfahrung in gewissen Sinne auch gestärkt, denn mir ist die Bedeutung unserer Arbeitsweise bei ACT noch mal in einer weiteren Facette eigenen, persönlichen Erlebens deutlich geworden. Wenn ich in einer vergleichsweise harmlosen Situation von Ohnmacht und Fremdbestimmung bereits so unangenehme Gefühle entwickle, möchte ich nicht wissen, was Demütigung in schlimmerem Ausmaß in den Menschen anrichtet.

Ich glaube daher mehr denn je an die Notwendigkeit, die Fähigkeit auszubilden, »in der Liebe zu bleiben« (also Situationen mit Humor und Menschlichkeit zu betrachten, auf Wertungen zu verzichten und Beziehungen auf Augenhöhe herzustellen und auszuhalten). Diese Fähigkeit lässt sich nur in einem Integritätsraum trainieren, der auf Resonanz statt auf Abgrenzung setzt, nur dort ist es möglich, inneren Selbstwert und äußere Souveränität – im Umgang mit verschiedensten Macht- und Ohnmachtssituationen – zu entwickeln. Daher sehe ich auch umso mehr die Relevanz unseres Vorhabens im ACT Lab: Nämlich Machtverhältnisse zu erkennen und in einem selbstbestimmten Sinne damit umzugehen – bzw. sogar sie zu überwinden.

Zu einem solchen Integritätsraum gehört auch, sich nicht vor dem Scheitern zu fürchten und sich auch in »noch nicht fertigen« Phasen zu zeigen. In einer Welt, in der sich alles zunehmend ums Gelingen und um Oberflächen dreht, möchte ich mutiger auch die darunter liegenden »Day-two-Erfahrungen« sichtbar machen. Denn auch das ist notwendig, wenn wir uns überhaupt noch auf menschlicher Ebene begegnen wollen. Genau dort ist nämlich am meisten Erkenntnisgewinn möglich. Das geht aber natürlich nur dann, wenn wir uns nicht ständig vor Statusherabsetzungen schützen müssen. Und damit sind wir im Kern des ACT-Konzepts: Führe Regie über dein Leben!

Die aktuelle Folge ist das Sichtbar-Machen einer »Day-two-Erfahrung«. Auch da müssen wir durch. Und dann kommt hoffentlich »day three«. 🙂

Viel Freude mit dem Film »Act! Wer bin ich?« von Rosa von Praunheim – unter www.missingfilms.de findet ihr weitere Informationen und die Kinotermine. Darüberhinaus könnt ihr den Film auch in euer Programmkino in eurer Stadt holen, wenn ihr Anna Maria Weber a.m.weber@act-berlin.de schreibt.

Hier die Youtube-Videobeschreibung zur aktuellen Folge »Machtverhältnisse 2 – Regisseur und Protagonistin«:
Einen Hauch des Gefühls, nicht die Deutungshoheit über das eigene Narrativ zu haben, so wie es zahlreichen anderen Menschen leider ständig geht, konnte ich jetzt in einem ganz anderen Zusammenhang selber erfahren bzw. erahnen. Die hier (in der aktuellen Folge meines Videoblogs) beschriebene Erfahrung ist natürlich dennoch GAR NICHT zu vergleichen, weil ich mich hier FREIWILLIG in ein hierarchisches Machtverhältnis – und damit quasi in eine selbst verschuldete Unmündigkeit – hinein begeben habe. Dennoch hat sich bei mir das Gefühl von Demut anderen gegenüber noch weiter verstärkt, weil mir wieder so klar geworden ist, wie schwer es ist, konstruktiv mit unfreiwilligen Statusherabsetzungen umzugehen.

Im Herbst 2015 besucht Rosa von Praunheim eine Probe der Jugendtheater-Gruppe am Heimathafen Neukölln – der Beginn einer spannenden und lehrreichen Zusammenarbeit, die in den Film »Act! Wer bin ich?« mündet. In dieser Folge geht es um die Hintergründe dieser Zusammenarbeit, um die Panik, die eigene Lebensgeschichte (was ist das eigentlich?) und die der Jugendlichen in die Hände eines bekannten Regisseurs zu geben – und nicht zu wissen: Welche Geschichte wird er erzählen? Ist es unsere? Ist es seine? Und was braucht es, damit diese Geschichte ein gutes Ende nimmt? Was ist ein »gutes Ende« – für wen?

Der Film »Act! Wer bin ich?« feiert seine Premiere am 21. Juni 2017, 20:30 Uhr, im Heimathafen Neukölln. Weitere Kinotermine unter www.missingfilms.de